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02.06.2005, 13:00 Uhr - Alter: 19 Jahre

40 Jahre KÖ - Immer ein Grund zum Feiern (aus KOMPASS 3/05)

„Bist du etwa gern in die Schule gegangen?“ fragt mich meine Tochter, und der vorwurfsvolle Unterton ist nur schwer zu überhören. Eigentlich weiß ich es gar nicht richtig, gegangen jedenfalls nicht, sondern gefahren worden, acht Jahre lang mit einem von vielen Sammeltaxen, quer durch Dresden, Schultag für Schultag, damals auch noch sonnabends. Die letzten zwei Jahre durfte ich dann im Internat wohnen. Gern oder nicht gern? Es ist schwer zu sagen.

Noch vor ein paar Jahren wäre mir die Antwort leichter gefallen, da war mir klar: Schule könnte schon schön sein, war sie aber nicht, jedenfalls nicht meine! Zu viel Abgeschiedenheit, zu viel Sonderwelt; zu viel Behütetsein, zu wenig Vorbereitung aufs wirkliche Leben (von keine Ahnung, wie man beispielsweise auf der Post ein Telegramm aufgibt bis reiner Zufall, wenn einem die Klamotten, die man sich kaufte auch passten), entlassen aus der Schule ohne Plan, was man so aus seinem Leben machen könnte und möchte (aber immerhin mit einer Lehr- und späteren Arbeitsstelle, und wer kann das heute noch von sich sagen!).

Heute nehme ich es so, wie es eben war, freue mich über die Möglichkeiten der Integrationsschulen und mir ist klar, dass die nicht für jedermann in Frage kommen.

Aber bin ich gern in die Schule gegangen? Es ist vielleicht auch zu lange her, um es noch zu wissen. Schließlich wurde sie neulich 40, meine Schule, und als ich hinging, war sie gerade mal 10 Jahre alt.

40 ist immer ein Grund zum feiern. Und das tat sie auch in einer Festwoche vom 14. bis 19.03.2005 mit einem Treffen aller Ehemaligen, auch der Lehrer, und einem Tag der offenen Türen, bei dem man die Möglichkeit hatte zu hospitieren, Schwimm- und Turnhalle, Werkräume, Spielplatz und Wohnheim anzusehen und sich über Schule und Freizeitgestaltung zu informieren.

Als Ehemaliger ist man natürlich mehr auf der Suche nach den Spuren der Vergangenheit. Was heute Hort- und Freizeitbereich ist, das waren früher unsere Internatszimmer und wir standen drin und überlegten, wer wo geschlafen hat. Das ist schwer rauszukriegen, denn alles wurde umgebaut, Wände versetzt, die Zimmer vergrößert. Auf der Fotowand suchten wir unter den Schwarz-Weiß-Fotos, ob wir irgendwen erkennen oder selber verewigt sind. Im alten Internatsgebäude standen wir in dem Raum, der zuerst unsere Vorschule, später dann, als die neue Schule noch ohne Turn- und Schwimmhalle war, unser Sportraum gewesen ist. Klein wirkte er und man kann es sich angesichts der heutigen Möglichkeiten eigentlich kaum noch vorstellen. Am alten Hauptgebäude, was gegenüber dem schicken Wohnheim der AWO vor sich hin zerfällt, ist noch die Kreideschrift an der Wand zu lesen: Görlitz, Hoyerswerda, Bautzen, Pirna. Dort wurden die Taschen der Internatskinder gesammelt, die Sonnabendmittag dann mit IKARUS-Bussen in die entsprechende Heimatregion befördert wurden. Diejenigen, die den Bus nicht selber besteigen konnten, wurden von Lehrern oder Erziehern reingetragen, Rollstühle blieben in der Regel in der Schule, da sie ohnehin volkseigen und nicht individuell angepasst waren.

Am AWO-Heim fuhren inzwischen einige Kleinbusse des Behindertenfahrdienstes vor, legten ihre Rampen aus oder ließen den Lift schon mal runter ...

Es hat sich wirklich eine Menge geändert. Es hat Freude gemacht, mit diesem und jenen zu schwatzen, alte Vertrautheit wird schnell spürbar, tut gut und ich denke, dass meine Schulzeit so schlecht nicht war. Bei allem Lob und aller Freude fehlte mir aber trotzdem ein bisschen der kritische Blick. Werden die Kinder heute denn besser aufs wirkliche Leben vorbereitet? Wie gelingt ihnen der Start in die „normale“ Welt, wie fühlen sie sich unter lauter Nichtbehinderten? Sind sie nach 10 Jahren behütet sein nicht nur schulisch, sondern auch sozial stark genug, den Kampf auf den verschiedenen Marktplätzen (Arbeitsmarkt, Heiratsmarkt, ...) des Lebens aufzunehmen? Ich wünsche es ihnen.

Meine Tochter war natürlich mit, fand den Spielplatz und die Rutsche aus dem AWO-Heim am tollsten, die Schwimmhalle kennt sie ja schon und sie fand, dass es Spaß gemacht haben muss, dort in die Schule zu gehen. Na dann, sie muss es ja wissen.

 

Elke Kunath

 

Anmerkung der Redaktion:
KÖ steht für Körperbehindertenschule Dresden (Ehem. POS für Körperbehinderte und nunmehr Förderschule für Körperbehinderte. Letzteres wollen manche Lehrer nicht so gern hören, weil immer noch 10. Klasse möglich ist und Förderschule abwertend klingt.)


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